14 Fazit

Burundi außerhalb von Bujumbura

14 Fazit

18.05.2023

Nachtrag: vor dem Rückflug ein Besuch beim Tinga-Tinga-Künstlerkollektiv, welches sich aber eher als Touristennepp entpuppt. Trotzdem nett und bunt hier.

Danach noch zum Fischmarkt. Hier pulsiert das Leben so richtig. Unglaublich viele Menschen, die entweder direkt vom Boot kaufen, weiterverkaufen, transportieren, kochen, rufen, essen, trinken, schlafen oder einfach nur dasitzen. Es riecht stark nach Fisch. Hier könnte man tausend interessante Fotos machen, aber direkt ins Gesicht zu fotografieren, ist nicht so mein Ding. Ich habe hier übrigens keinen einzigen Weißen gesehen. So ganz alleine ohne Schutz ist mir dann doch etwas warm geworden, denn nicht alle Menschen haben mich freundlich angesehen. Richard hätte mit mir geschimpft. Meine Schuhe haben übrigens permanent in der Fischsuppe auf dem Boden gebadet. Ich bin gespannt, wie das die Leute im Flugzeug finden.

19. Mai 2023

Nachtflug war pünktlich (keine Rückmeldung wegen Fischgeruch), Bahn auch. Hallo Freiburg, ich bringe Grüße aus Afrika mit!


So, jetzt ist der Kopf aber wirklich voll. Das Hausaufgabenheft hat sich gefüllt. Die Nacharbeitung wird mich noch einige Zeit kosten. Aber ich glaube es lohnt sich.

Vorweg: Alleine reisen bedeutet fast automatisch, Menschen kennen lernen. Das ist manchmal nicht ganz einfach, auch wegen der fremden Sprache, aber man erfährt deutlich mehr, als wenn man nur intern diskutiert. Deswegen habe ich wirklich viele Menschen getroffen. Einige von ihnen darf ich jetzt Freunde nennen.

Ich habe in den vergangenen drei Wochen nur einen winzigen Teil Afrikas und der besuchten Länder gesehen. Mir ist klar, dass eine Extrapolation problematisch sein kann. Deshalb habe ich viele Gespräche geführt; mit Einheimischen, mit Spezialistinnen, mit Freunden. Ich habe mich auch nicht in den Touristenhochburgen versteckt, sondern versucht, mir die Dinge vor Ort anzusehen. Ich hoffe es gelingt mir, vorsichtig mit meinen Schlussfolgerungen zu sein.

Beginnen wir mit dem Vergleich der beiden Brüder Burundi und Ruanda. Denis nennt sie „Faux Jumeaux“, falsche Zwillinge. Beide Länder sind fast gleich groß (eigentlich: gleich klein) und dicht besiedelt, ihre Bevölkerung ist sehr jung. Das Klima ist ähnlich, Flora und Fauna auch. Berge bestimmen in beiden Ländern die Aussicht. Die Präsidenten beider Staaten sind nicht gerade Vorreiter der demokratischen Bewegung. Und: beide Länder stehen vor der Herausforderung der Lage in Zentralafrika ohne Zugang zum Meer und ohne Eisenbahnanschluss. Burundi besitzt zwar einige Bodenschätze, die aber wegen der fehlenden Infrastruktur kaum abgebaut werden. Die größten Unterschiede zwischen den beiden Ländern: Frauen, wirtschaftliche Freiheit ohne Korruption, digitaler Ausbau, Sicherheit, Sichtbarkeit.

  • Frauen haben in Ruanda viel bessere Chancen, höhere Positionen zu erreichen als in Burundi. Dies hat verschiedene wichtige Konsequenzen: Frauen in Führungspositionen bedeuten einen anderen Führungsstil, im Parlament andere Entscheidungen, in der Firmenleitung andere Aspekte. Burundi kann es sich gerade wegen seiner Armut nicht leisten, auf diese zusätzlichen Ressourcen zu verzichten. Es steht uns Europäern natürlich nicht zu, in irgendeiner Form darauf Einfluss zu nehmen, in welchem Alter eine Burundierin ihr erstes Kind bekommt, aber wenn (Aus-)Bildung dazu führt, dass diese Mädchen den Zeitpunkt selber bestimmen, dann finde ich das gut. Möglicherweise ist der Nebeneffekt einer solchen Selbstbestimmung, dass insgesamt die Bevölkerungszahl nicht ganz so aus dem Ruder läuft und weniger Kinder in die Armut hinein geboren werden.
  • Wirtschaftliche Freiheit in Ruanda: ohne viel Bürokratie, schnell und fast steuerfrei ein Unternehmen zu gründen, ist politisch gewollt. Auch der Korruptionsfaktor scheint deutlich geringer zu sein als in Burundi. Das ist die Handschrift von Präsident Paul Kagame.
  • Digitaler Ausbau. Auch wenn Burundi versucht aufzuholen, so ist doch sichtbar, dass Ruanda viel mehr in die digitale Struktur in Form von Mobilfunknetzen investiert hat. 4G/LTE ist überall verfügbar, auch im Gorilla-Dschungel. Und das ist keine Spielerei sondern unabdingbare Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft – bei uns in Europa, genauso wie in Afrika.
  • Sicherheit: Ruanda ist sicher, Burundi ist es nicht. Wenn ich auch persönlich in Burundi keine schlechten Erfahrungen diesbezüglich gemacht habe, so ist doch offensichtlich: ab 18:30 Uhr ist es stockduster. Keine Straßenbeleuchtung, keine Häuser, deren Fenster Licht geben. Außerdem laufen derart viele Männer bewaffnet herum, dass man nicht mehr genau unterscheiden kann, wer beschützt und wer bedroht. An Schusswaffen gibt sicher keinen Mangel in Burundi (in Ruanda allerdings auch nicht).
  • Sichtbarkeit: Ruanda hat durch den Genozid und das damit verbundene Fehlverhalten der westlichen Staaten eine hohe Aufmerksamkeit erfahren. Burundi dagegen ist fast komplett von der Bildfläche verschwunden. Fragt mal Eure Freunde, welches Land in der Welt sie für das ärmste halten. Ob das viele wissen? Burundi wird nicht wahrgenommen. Was ein echtes Problem ist.

Durch diese Unterschiede gibt es viel mehr Armut in Burundi gegenüber dem relativen (!) Reichtum in Ruanda. Ruanda holt durch ein Minimum an Verwaltungsvorschriften viele ausländische Investoren ins Land, investiert in digitale Innovation und unterstützt die Frauen. Außerdem ist der Tourismus eine ordentliche Einnahmequelle. Das alles könnte Burundi auch!

Dies ist insofern keine rein theoretische Überlegung, da wir, wenn auch nur in einem winzigem Maße über das Curriculum einer vergrößerten Berufsschule in Kivoga Einfluss hätten. Also zum Beispiel IT für Mädchen. Kleine Anmerkung am Rand: auch um die Jungen sollte man sich beizeiten kümmern, damit deren Testosteronhaushalt nicht nur durch das Schwängern von 14-jährigen Mädchen oder das Tragen einer Waffe befriedigt wird. „Jetzt ist schon wieder was passiert“ würde mein Freund Brenner sagen, denn hier üben wir zum wiederholten Mal den Spagat zwischen Stereotypen und berechtigtem Aufzeigen von Problemen. Dabei ist völlig klar: Ich habe neben Denis viele kluge und engagierte Männer wie Richard, Jean-Marie, den Englischlehrer Tharcisse, den Volleyballtrainer und viele einige andere getroffen.

Ich kann jetzt auch die Kritik einiger Seiten an der Arbeit von NGOs wie unserer besser verstehen: wir übernehmen in Burundi Aufgaben, für die der Staat selbst verantwortlich ist. Wir können den Anschub finanzieren und Akzente setzen, sollten aber nicht dauerhaft Staatsaufgaben erfüllen. Dies ist zwar längerfristig gesehen ein Dilemma, hindert uns aber nicht, heute und jetzt den wundervollen Menschen in Burundi zu helfen. In Tansania sieht das etwas anders aus. Der Staat hat einfach nicht genug Geld, die teure Behandlung onkologisch erkrankter Kinder zu stemmen. Hier kommt unser Geld gut an und hilft, die schwierige Situation etwas zu verbessern.

Ein „Nebenfazit“ sei mir noch erlaubt: Allen drei Staaten, die ich besucht habe, ist eines gemeinsam: die Sonne. Viel Sonne. Die Nutzung dieser Wärme, die durch den technischen Fortschritt immer leichter in Elektrizität umgewandelt werden kann, ist aus ganz unterschiedlichen Sichtweisen sinnvoll. Wir denken natürlich in Europa vor allem an die CO2-Einsparung, was ja auch richtig ist. Aber mindestens genauso wichtig ist hier am Äquator die Erzeugung von Elektrizität und deren Speicherung vor allem für ländliche Gegenden, in denen keine zuverlässige Verbindung zu einem zentral organisierten Leitungsnetz existiert; Stichwort Mini-Grids. Ich habe in einem früheren Beitrag darüber geschrieben: Licht, Informationstransfer, Kühlung, die Stromversorgung für kleine Werkzeuge im Handwerk und vieles mehr; der „Impact“ ist enorm! Das sollten wir in jedem Falle bei der Planung unserer Projekte beachten.

Welches Land oder welche Station der Reise haben mich am meisten beeindruckt? Dazu muss ich zunächst bemerken, dass ich sehr froh bin, gleich drei afrikanische Länder besucht zu haben, sodass ich jetzt ein wenig vergleichen kann. Ich habe mir die Antwort auf diese Frage lange überlegt.

  • Tansania: die Kraft und die Liebe der Menschen, zusammen mit der Technik moderner Medizin, Kinder von ihrem schrecklichen Leiden zu befreien.
  • Ruanda: die Schönheit der Tierwelt und die Innovationskraft der Menschen gerade nach so einem fürchterlichen Ereignis wie dem Genozid.
  • Burundi: die Freundlichkeit und die positive Ausstrahlung der Menschen trotz Armut. Außerdem die Schönheit der Natur. Burundi braucht uns am meisten!

Die Reise stand unter dem Titel „Learning from Africa“. Ich habe gelernt! Vielen Dank allen, die dazu beigetragen haben, indem sie auf dieser Reise mit mir gesprochen haben.

Besonderen Dank an die BCS, die CVG und meiner Mutter, die mir diesen Aufenthalt finanziert haben.

Danke an alle fürs mitlesen.

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für Deinen Blog, Tillmann – ich habe sehr gerne mitgelesen!
    Zwei Gedanken zu diesem Eintrag.
    Frauen und die Geburtenrate in Burundi: Wir hatten mit Project Human Aid ein paar Jahre lang viel mit einer hochrangigen und sehr klugen Politikerin zu tun, die unsere Arbeit sehr geschätzt hat. Eines Abends saßen wir bei einem Bier zusammen. Sie erklärte mir, was in Burundi geschehen müsste, damit die Geburtenrate sinkt, was auch sie für absolut notwendig erachtete. Sie sprach von Bildung, Aufklärung und vielem mehr – nur so könne es gelingen, der Bevölkerungsexplosion entgegenzuwirken. Nach ihrem leidenschaftlichen Plädoyer fragte ich sie, wie viele Kinder sie habe. Ihre Antwort: fünf. Dieses Gespräch habe ich seither immer vor Augen, wenn ich in Burundi mit Menschen darüber diskutiere, wie viele Kinder man haben sollte. Es ist das eine, eine Sichtweise zu verstehen und sie auch zu vertreten – das andere ist die Macht der eigenen Kultur und Lebenswelt. Man braucht einen sehr langen Atem, will man hier etwas bewirken.
    Kritik an NGOs: Auch für uns von Project Human Aid trifft es zu, dass wir an verschiedensten Stellen Aufgaben übernehmen, die genuin solche des Staats wären. Die Kritik Dritter daran akzeptiere ich allerdings nicht, auch wenn ich natürlich nur für uns sprechen kann. Würden wir die Dinge nicht tun, die wir in Burundi tun, würden sie definitiv gar nicht geschehen – nicht einmal in Ansätzen, ganz gleich, wie lange wir warten würden. Aber man kann versuchen, die „Powers that be“ in die Pflicht zu nehmen. An der weiterführenden Schule von Kivoga etwa, die wir seit fast 20 Jahren unterstützen, bezahlen wir die Unterbringung und Verpflegung der älteren Schüler*innen in einem Internat, das wir auch gebaut haben; der Staat bezahlt die Gehälter der Lehrer*innen; und die Kirche verwaltet das Ganze. Nicht optimal, klar, eigentlich wäre das alles Aufgabe des Staates. Aber eben auch nicht ganz schlecht – weil alle an einem Strang ziehen und miteinander in einem ständigen Dialog stehen.

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